Chemische Eigenschaften und Reaktionen der Alkene

Im Gegensatz zu den Alkanen sind Alkene sehr reaktionsfähige Verbindungen. Das sollen zwei Reaktionen zeigen, die unter den angegebenen Bedingungen bei Alkanen überhaupt nicht stattfinden. Mit Brom reagieren Alkene bereits bei Zimmertemperatur und ohne Belichtung; auch mit konz. Schwefelsäure tritt eine Reaktion ohne Erwärmen ein; diese Vorgänge lassen sich durch folgende Reaktionsgleichungen darstellen:

C2H4 + Br2 → C2H4Br2 C2H4 + H2SO4 → C2H5 (HSO4)

Der Reaktionsverlauf kann durch eine Substitution, wie sie bei Alkanen üblich ist, nicht erklärt werden, da kein H-Atom im Ethylen durch Brom ersetzt wurde. Das Brom oder die Schwefelsäure haben sich vielmehr an das Ethylen-Molekül angelagert oder addiert. Solche Anlagerungs- oder Additionsreaktionen sind charakteristisch für Moleküle mit Doppelbindungen, allgemein also für ungesättigte Verbindungen. Additionsreaktionen unterscheiden sich in wesentlichen Merkmalen von der Substitution.

Verlauf und Ursachen der Additionsreaktion: Für den ungesättigten Charakter der Alkene ist die Doppelbindung verantwortlich; sie kann sich nur ausbilden, wenn nicht alle Valenzen der an der Bindung beteiligten C-Atome durch Wasserstoff besetzt sind. Eine genaue Beobachtung der Additionsreaktion zeigt nun folgendes: Pro Doppelbindung im ungesättigten Molekül wird ein anderes Molekül, z. B. Brom oder Schwefelsäure, addiert. Das Endprodukt der Addition ist eine gesättigte Verbindung, wie obige Formeln zeigen: im C2H4Br2 sind alle 8 Valenzen der beiden C-Atome durch Bildung von Einfachbindungen abgesättigt; 2 Valenzen sind durch die Bindung der C-Atome untereinander, 4 durch Wasserstoff und 2 durch Brom verbraucht. Bei einer Addition ändert sich also der Bindungscharakter im Molekül, die Doppelbindung wird aufgehoben. Das reaktionsfähige, ungesättigte Alken geht in das entsprechende reaktionsträge, gesättigte Alkan über. Das Endergebnis der Addition ist der Übergang der Doppelbindung in eine Einfachbindung.

Geeignete Versuche und die Strukturaufklärung der Endprodukte haben gezeigt, daß die Addition an den beiden C-Atomen erfolgt, die doppelt gebunden sind; die reaktionsfähige Stelle im Molekül ist damit eindeutig festgelegt. Trotz der etwas größeren Bindungsfestigkeit der Doppelbindung gegenüber der Einfachbindung bietet die Doppelbindung die bei Reaktionen angreifbare Stelle des Moleküls. Hier ist es das zur Bindung nur locker beitragende π-Elektronenpaar, das die Reaktionsfähigkeit der Doppelbindung bedingt und bei der Addition zur Bindung der addierten Moleküle beiträgt (siehe nachfolgende Reaktionen).

 

Einzelne Additionsreaktionen

a) mit Halogenen

Bei der Addition von Brom an Ethylen entsteht 1,2-Dibromethan, bei gleicher Reaktion mit Propylen entsteht 1,2-Dibrompropan:

 

 

 

 

 

Die beiden Bromatome werden an den C-Atome addiert, zwischen denen die Doppelbindung lokalisiert war, die bei der Addition aufgehoben wird.

Die Addition von Chlor und Brom ist eine besonders glatte Reaktion und verläuft ohne Einwirkung von Licht und Katalysatoren, gewöhnlich in flüssiger Phase oder in Lösung von Tetrachlorkohlenstoff oder Eisessig. Sie ist auf diese beiden Halogene beschränkt, da Fluor zu heftig und Jod nur in wenigen Fällen reagiert.

Die bei der Addition entstehenden Halogenderivate der Alkene sind ölige Flüssigkeiten, die deswegen den Alkenen auch den Namen Olefine (Ölbildner) eingetragen haben.

Da diese öligen Flüssigkeiten außerdem farblos sind, kann man den Fortgang der Addition an der Entfärbung verdünnter Bromlösung (in Chloroform oder Tetrachlorkohlenstoff) beobachten und diese Reaktion als analytisch-qualitative Methode zum Nachweis von Doppelbindungen benutzen. Auch ist es möglich, die Addition der Halogene an Doppelbindungen zu quantitativen Bestimmungen heranzuziehen, um die Zahl der Doppelbindungen im Molekül zu bestimmen. Siehe dazu die Methode der Jodzahl-Bestimmung.

 

b) mit Wasserstoff

Bei normaler Temperatur und selbst bei höheren Drücken reagieren Alkene und Wasserstoff nicht miteinander. Erst bei Gegenwart geeigneter Katalysatoren können Alkene Wasserstoff addieren. Diese Wasserstoffanlagerung wird gewöhnlich als katalytische Hydrierung bezeichnet, ist aber der Reaktion nach eine Addition. Der katalytischen Hydrierung ist jedes Alken zugänglich; aus dem Alken wird dabei ein Alkan.

 

 

Als Katalysatoren zur Hydrierung olefinischer Doppelbindungen verwendet man:

1. im Laboratorium: Feste Katalysatoren, wie Raney-Nickel, Platinoxid PtO2 und Palladium oder Platin auf Tierkohle, die in fein verteilter Form in der zu hydrierenden Verbindung, falls diese flüssig ist, oder in einer Lösung suspendiert werden. Die Katalysator-Suspension wird mit der unter geringem Überdruck stehenden, überlagerten H2-Atmosphäre in geschlossenen Gefäßen fortwährend geschüttelt und auf diese Weise die Komponenten der Reaktion in häufige Berührung gebracht. Katalysator (fest) und Alken (flüssig oder gelöst) liegen also in verschiedenen Phasen vor, so daß die Hydrierung nur an der Grenzfläche fest/flüssig stattfinden kann.

Der Katalysator spaltet zunächst die H2-Moleküle in reaktionsfähige Atome, die dann an der festen Katalysatoroberfläche adsorbiert werden und bei Annäherung eines Alken-Moleküls auf dieses übergehen und so addiert werden. Es ist also nicht so, daß nach der Spaltung eines H2-Moleküls die beiden H-Atome gleichzeitig an die reaktionsfähige Doppelbindung angelagert werden, sondern sie werden nacheinander und getrennt addiert und müssen deswegen nicht unbedingt demselben H2-Molekül entstammen.

 

Die Hydrierungskatalysatoren des Laboratoriums werden folgendermaßen bereitet:

1. Raney-Nickel: Eine Nickel-Aluminium-Legierung bestimmter Zusammensetzung wird mit warmer Natronlauge behandelt. Hierbei wird das Aluminium zum größten Teil gelöst und es bleibt ein sehr aktives, oberflächenreiches, metallisches Nickel zurück, das nur in Lösung aufbewahrt werden kann, da es an der Luft infolge Reaktion mit Sauerstoff sofort entflammt.

2. PtO2-Katalysator: Durch Schmelzen von Platinchlorwasserstoffsäure H2PtCl6 mit Natriumnitrat erhält man schwarzes PtO2. Am Anfang der Hydrierung wird zunächst PtO2 durch Wasserstoff zu feinverteiltem, sehr aktivem Pt-Metall reduziert, das dann die Hydrierung katalysiert.

3. Palladium oder Platin auf Tierkohle: Eine wäßrige Lösung von Palladium- oder Platinchlorid, in der fein pulverisierte Tierkohle suspendiert ist, wird mit einem geeigneten Reduktionsmittel versetzt. Das reduzierte Palladium- bzw. Platinmetall scheidet sich dabei in feiner Verteilung und mit großer Oberfläche auf der Tierkohle als Trägersubstanz ab.

 

2. in der Technik: Feste Katalysatoren, wie Kupfer, Chromoxyd oder aktiviertes Nickel, die in besonderen Reaktionsöfen auf Horden fest gelagert werden. Über diese fest angeordneten Katalysatoren wird der Alken-Dampf im Gemisch mit Wasserstoff geleitet, wobei die Hydrierung stattfindet. Da die Katalysatoren der Technik nicht so aktiv wie die des Laboratoriums sind, werden technische Hydrierungen bei höheren Temperaturen (z. B. 300 °C) und Drucken (z. B. 200 atü) durchgeführt. Die katalytische Hydrierung ist auch zu einer analytischen Methode  entwickelt worden, um die Zahl der Doppelbindungen in einem Molekül zu ermitteln, indem der Wasserstoffverbrauch bei der Hydrierung genau bestimmt wird.

 

c) mit Halogenwasserstoffen

Hier und bei den folgenden Reaktionen ist zu berücksichtigen, daß nicht gleiche Atome, wie bei H2 oder Br2, addiert werden, sondern ungleiche, z. B. Chlor und Wasserstoff aus HCl. Die Addition von Halogenwasserstoff an Ethylen geht so vonstatten, daß

 

 

der Wasserstoff an das eine, der Halogenrest an das andere C-Atom der Doppelbindung angelagert wird.

Von den Hologenwasserstoffen ist HJ die reaktionsfähigste Verbindung bei der Addition; über HBr und HCl zum HF wird die Addition immer schwieriger. Bei der Addition verhalten sich die Halogenwasserstoffe also umgekehrt wie die Halogene hinsichtlich ihrer Reaktionsfähigkeit.

Ethylen ist ein symmetrisches Alken; bei der Addition von HBr entstehen immer gleiche Moleküle, gleichgültig, wo Wasserstoff und Brom addiert werden. Die Addition von HBr an Alkene mit unsymmetrischem Molekülbau, z. B. Propylen, kann zu zwei verschiedenen Verbindungen (Isomeren) führen:

 

 

Das Brom kann mittelständig oder endständig gebunden werden. Den wahren Reaktionsverlauf schreibt aber die Regel von Markownikoff vor: Bei einer normalen Addition lagert sich der Wasserstoff an das wasserstoffreichste C-Atom und der Halogenrest an das wasserstoffärmste C-Atom an.

Beispiel:

 

 

Die Addition von Halogenwasserstoffen an Doppelbindungen ist eine Methode, um Halogenalkane aus Alkenen darzustellen.

 

d) mit Schwefelsäure

Bei der Addition an Alkene zerfällt die Schwefelsäure, ähnlich wie die Halogenwasserstoffe, in Wasserstoff und den Säurerest und folgt im Reaktionsablauf der Regel von Markownikoff:

 

 

Es entsteht eine Alkylschwefelsäure. Diese Reaktion geht Propylen beim Schütteln mit konz. Schwefelsäure leicht ein, Ethylen dagegen addiert bei Zimmertemperatur nur langsam; die Reaktion kann aber hier durch Zusatz von Ag2SO4 als Katalysator wesentlich beschleunigt werden.

Die bei der Reaktion gebildete Alkylschwefelsäure löst sich in der noch vorhandenen konz. Schwefelsäure; beide Produkte sind nur schwer voneinander zu trennen.

Für die Weiterreaktion der Alkylschwefelsäure gibt es zwei Möglichkeiten:

a) Das entstandene Anlagerungsprodukt lässt sich leicht durch Zusatz von Wasser wieder spalten (hydrolysieren):

 

 

Es entsteht dabei ein Alkohol, eine Verbindung, die die OH-Gruppe als charakteristische Gruppe enthält. Überblickt man den ganzen Reaktionsablauf bis zu dieser Stufe, so handelt es sich um eine indirekte Addition von Wasser an eine Doppelbindung unter Mitwirkung von konz. Schwefelsäure.

Technisch wird nach dieser Methode aus Propylen durch Wasseranlagerung Isopropylalkohol gewonnen.

b) Ist ein Überschuss von Alken vorhanden, kann der Wasserstoff der (-SO3H)-Gruppe über eine Addition durch einen weiteren Alkylrest ersetzt werden.

 

 

Damit ist eine neue Verbindung entstanden, die in die Gruppe der Ester eingeordnet werden muss.

Alkane werden bei Zimmertemperatur von konz. Schwefelsäure nicht angegriffen und lassen sich in getrennter Schicht zurückgewinnen. Alkene dagegen addieren Schwefelsäure; das Additionsprodukt löst sich in der Säure auf. Ein Gemisch von Alkanen und Alkenen kann man deswegen durch Schütteln mit Schwefelsäure voneinander trennen und die reinen Alkane gewinnen.

 

e) Polymerisation

Alkene können nicht nur andere Moleküle addieren, sondern auch untereinander eine Addition eingehen. Als Beispiel sei die Selbstaddition des Ethylens angeführt:

 

 

oder einfacher dargestellt:

 

 

man spricht hier gewöhnlich von einer Polymerisation und, wenn man den Reaktionsablauf berücksichtigt, von einer Additionspolymerisation.

Unter Polymerisation versteht man die Verknüpfung einiger bis sehr vieler, gleicher (oder auch verschiedener) Einzelmoleküle zu einem sehr großen Kettenmolekül (Makromolekül). Die Polymerisation ist eine Folge vieler einzelner, nacheinander oder gleichzeitig ablaufender Reaktionen. Das Einzelmolekül (Monomer) verbindet sich, z. B. durch Addition, zunächst mit einem zweiten Molekül zu einem Doppelmolekül (Dimer), das seinerseits mit weiteren Einzelmolekülen oder schon vorhandenen längeren Ketten reagiert, bis die Reaktion bei einer bestimmten Kettenlänge abbricht, entweder durch äußeren Eingriff oder, weil alle monomeren Moleküle umgesetzt sind. Es können auf diese Weise viele Tausende Einzelmoleküle miteinander reagieren und zu einem Polymer führen, dessen Molekulargewicht Werte zwischen 10000 und 100000 und noch darüber erreichen kann.

Beispiele für Polymerisationen, die nach Additionsreaktionen verlaufen:

1. Ethylen C2H4

 

 

Das Polyethylen ist aus vielen kleinen, unter sich gleichen Molekülteilen aufgebaut, wie es die Formel zum Ausdruck bringen soll. Da das Polyethylen ein Kettenmolekül mit Alkan-Struktur ist, ist es chemisch genauso reaktionsträge und unangreifbar wie die Alkane. Diese Eigenschaften haben dem Polyethylen wichtige Anwendungen als Kunststoff verschafft. Je nach Herstellungsbedingungen und Molekulargewicht werden wachsartige bis harte Produkte erhalten.

a) Wird Ethylen bei 1000 atü Druck und 150 - 200 °C unter  Zusatz von 0,01% O2 polymerisiert, erhält man ein Produkt mit dem Schmelzbereich 110 - 115 °C und einer Dichte von 0,92 g/cm3 (Hochdruck - Polyethylen).

b) Mit nur geringem Überdruck (bis 5 atü) und ohne höhere Temperatur liefert Ethylen unter dem Einfluß von Katalysatoren aus Aluminium/Titan - Verbindungen ein Polyethylen, das zwischen 125 - 130 °C schmilzt und eine Dichte von 0,95 g/cm3 besitzt (Niederdruck - Polyethylen).

 

2. Propylen C3H6

Propylen kann ähnlich wie Ethylen mit Katalysatoren aus Aluminium/Titan - Verbindungen zum Polypropylen polymerisiert werden, das hart ist und sehr gute Kunststoffeigenschaften besitzt:

 

 

oder:

 

 

Alle Beispiele zeigen, wie wichtig bei Polymerisationen die Wahl des Katalysators und der Reaktionsbedingungen ist.

 

 

f) Oxidation

Auch die Oxydation der Alkene ist eine Additionsreaktion, da das Oxidationsmittel die Doppelbindung angreift. Reagiert ein Alken mit verdünnter wäßriger, neutraler oder schwach alkalischer KMnO4-Lösung, werden in der Kälte zwei OH-Gruppen an die doppelt gebundenen C-Atome angelagert:

 

 

KMnO4 wird dabei zum MnO2 reduziert; die Lösung entfärbt sich. Diese Reaktion, als Bayersche Probe bekannt, dient zum Nachweis von Doppelbindungen und Alkenen: verdünnte KMnO4 - Lösung wird entfärbt und ein brauner, flockiger Niederschlag abgeschieden.

Die genaue Red-Ox-Gleichung ist:

 

 

 

Technische Oxydationen arbeiten mit Katalysatoren und Luft als Oxydationsmittel:

Beispiele:

 

 

Oxydation in der Gasphase; Ag als Katalysator. Die entstehenden Sauerstoffverbindungen der genannten Struktur bezeichnet man als Epoxide.

 

 

Oxydation in wäßriger Lösung mit PdCl2/FeCl2 als Katalysatoren.

Die Beispiele zeigen, daß auch hier die Wahl des Katalysators und die Reaktionsbedingungen für den Reaktionsablauf maßgebend sind.